Sie hatte die schwierigsten Voraussetzungen und geht trotzdem als grösste Siegerin aus der Heim-EM hervor: Livia Peng. Die Bündner Goalie ist im Viertelfinale des Heim-Turniers über sich hinaus gewachsen. Und trotzdem bleibt die Zukunft der 23-Jährigen ungewiss.
Schauen wir zurück: Im Herbst 2024 wird Elvira Herzog zur Nummer 1 im Schweizer Nationalteam ausgerufen. Peng hadert mit dem Entscheid von Trainerin Sundhage. Wohl auch, weil sie im Vergleich zu Herzog nie das gleiche Vertrauen geschenkt, nie die gleiche Anzahl an Spielen anvertraut bekam. Doch sie rauft sich zusammen, trainiert bei Werder Bremen, geht mit ihren Paraden viral und wird in die Kicker-Elf der Bundesliga-Saison gewählt.
Für Herzog läuft es derweil nicht mehr rund. Seit sie offiziell als Nummer 1 gilt gewann die Nati kein Spiel mehr. In der Nations League schleichen sich Fehler ein. Die 24-Jährige scheint sich selbst enorm unter Druck zu setzen – und an diesem zu zerbrechen. So entscheiden Sundhage und ihr Team rund um Goalietrainerin Nadine Angerer, nur zwei Monate vor Beginn der EM, das Rennen um den Startplatz am Turnier neu zu eröffnen.
In den letzten beiden Nations-League-Spielen steht Peng im Tor. Gegen Frankreich startet sie mit einem Patzer, verdribbelt sich, und sorgt für das erste französische Tor. Gegen Norwegen erhält sie das Vertrauen erneut, spielt solide. Und am 26. Juni fällt dann der Entscheid. Im Testspiel gegen Tschechien steht Peng im Tor – sie hat Herzog tatsächlich noch abgefangen, sich auf den letzten Metern zur Nummer 1 gemacht.
«Es ist ein riesen Traum, der in Erfüllung geht. Ich freue mich sehr, habe ich das Vertrauen erhalten», sagt Peng nach dem 4:1-Sieg über Tschechien. «Wir haben uns zu dritt in den Trainings immer mehr gepusht, motiviert und besser gemacht. Nun können wir es alle kaum abwarten, bis die EM beginnt.»
Am Heim-Turnier beweist sich Peng dann als sicherer Rückhalt für die Nati. Von Spiel zu Spiel wird sie stärker, geht aber auch mit sich selbst hart ins Gericht. Einen Kopfball von Ada Hegerberg im EM-Eröffnungsspiel landet im Tor. «Den muss ich haben. Ich bin ehrlich, ich war auf den Ball fokussiert und hab Ada nicht gesehen. Das darf nicht passieren.»
Von diesem Schockmoment kämpft sich Peng zurück. Gegen Island hat sie wenig zu tun, doch wenn es sie braucht, ist sie da: Sie spielt zu Null. Und auch im dritten muss sie sich lediglich wegen eines Penalty geschlagen geben. Mehrmals rettet sie gegen Finnland mirakulös und trägt so einen grossen Anteil zum Schweizer Viertelfinal-Einzug bei.
Besonders schön zu sehen? Die Unterstützung, die Peng von ihrer grössten Konkurrentin Herzog erhält. Keine Spielerin klatscht beim Einlaufen Pengs so laut wie Herzog. Von der versteiften Goalie vom Frühjahr ist ihr nichts mehr anzumerken. Klar, Herzog wird sich die EM anders vorgestellt haben – scheint aber regelrecht aufzublühen dank dem abgefallenen Druck.
Apropos aufblühen: Auch Peng geht in ihrer Rolle als Nummer 1 auf – so richtig dann im EM-Viertelfinale gegen den Weltklasse-Sturm von Spanien. «Ich habe ihr gesagt, dass sie nicht das Gefühl haben muss, die ganze Schweiz retten zu müssen», sagt Angerer vor dem Spiel.
Doch genau das tut Peng. Fünf Paraden zeigt sie während dem Spiel. Dass die Schweiz zur Halbzeit noch nicht 0:3 im Rückstand liegt ist der Bündnerin zu verdanken. Und dann wären da auch noch die Elfmeter. Der erste geht an Pengs Kasten vorbei. Doch den zweiten – geschossen von der zweifachen Weltfussballerin Alexia Putellas – wehrt Peng ab. Das Wankdorf-Stadion tobt. Auch wenn zu diesem Zeitpunkt, rund fünf Minuten vor dem Schlusspfiff, das Schweizer Ausscheiden bereits besiegelt ist.
Peng bleibt demütig. In der Mixed-Zone will sie nichts von Glückwünschen für eine gute Partie wissen. «Es hilft mir nichts, dass ich einen Penalty gehalten habe», sagt sie. Sie hätten als Team gewinnen wollen. «Und das haben wir nicht geschafft.» Ihre Captain Lia Wälti hingegen lobt Peng: «Livia hat ein riesen Turnier gespielt. Es war keine einfache Situation für unsere Torhüterinnen. Die Unterstützung die sich die drei gegeben haben war unglaublich und hat auch Livia wahnsinnig gut getan.»
Doch trotz dem riesen Turnier: Pengs Zukunft bleibt ungewiss. Nach einer unfassbaren Saison bei Werder Bremen wechselt sie zu Chelsea, wo sie in der neuen Saison spielen wird. Aber genau das ist die Frage: Wird sie beim englischen Super-Ligisten wirklich zum Zug kommen? Vor ihr besetzt die englische Nati-Torhüterin Hannah Hampton den Startelf-Platz. Von aussen wirkt es, als würde Peng die Nummer zwei sein.
Und spielt sie im Klub nicht scheint es fraglich, dass Peng in der Nati weiter Stammgoalie bleibt. Die kommende Saison verspricht einen neuen Nummer-1-Kampf. Mit Nadine Böhi, die neu bei Union Berlin in der Bundesliga spielt, kommt vielleicht sogar noch eine Konkurrentin hinzu. Peng selbst sieht das gelassen: «Ich habe gute Gespräche geführt. Ich werde meine Chancen erhalten, mich zu zeigen.» Und, dass sie sich auch gegen starke Konkurrenz in kurzer Zeit durchsetzen kann, hat Peng ja bereits gezeigt. (riz/aargauerzeitung.ch)